Unterwegs auf Strecke

500km am 10.Juni 2022 mit denen niemand gerechnet hätte – am wenigsten ich selbst

Es gibt Tage, die fangen schon holprig an.
Nachdem ich schon Tage zuvor die Wettervorhersagen studiert und mir einen echt guten Plan zurecht gelegt hatte (da sich das gute Wetter südlich Leipzig befinden sollte, wollte ich mal ein Dreieck um den entsprechenden Luftraum legen), entschieden sich die gängigen Segelflugwetter-Dienste am Freitagmorgen doch um.
So blieb mir nichts anders übrig, als das Frühstück durch eine weitere Einheit „Ich sitze fluchend vor SeeYou und versuche etwas halbwegs sinnvolles hinzubasteln“ zu ersetzen. Dank der freundlichen Unterstützung meiner Kollegen, durfte ich spontan einen Tag Urlaub nehmen, um das gute Wetter zu nutzen. Steffen wollte einen Tag Home-Office auf dem Flugplatz verbringen, und würde morgens fix den Startleiter spielen.

Aufgerüstet und abgeklebt!


Da die Thermik schon früh beginnen sollte, fuhren wir ziemlich zeitig auf den Flugplatz und rüsteten „Vicky“ schon um 9 Uhr auf. Eigentlich wollte ich gegen 10 Uhr starten. Eigentlich…
Sigurd wollte mit seinem Cirrus mitfliegen, hatte aber Zweifel an meiner Streckenplanung. So programmierte ich geschlagene 3 Mal die Rechner um, um mich dann doch für meinen ursprünglichen Plan (Nordwesten, Südwesten, Heim) zu entscheiden. Die Kanäle auf WhatsApp liefen heiß und Wilko und Juju setzen mich darüber in Kenntnis, dass die Kollegen aus Reinsdorf alle schon unterwegs seien. Jetzt aber schnell den Flieger rangeschoben und nichts wie los!
Sigurd startete als erstes, landete aber nach einer Platzrunde wieder. Ich versuchte nach ihm mein Glück, fand an der Position auch ein wenig Steigen. Ich hielt mich daran fest, wurde aber aufgrund von 30km/h Wind ziemlich schnell sehr weit weg versetzt. In 300m hinterm Wolziger See in 0,5m/s Kreisen, fand ich eigentlich nicht so cool und flog sicherheitshalber wieder zurück zum Platz. Ich steuerte zwei Wolken im Norden an, aber erwischte nur 4m/s Sinken, sodass ich in 190m ankam. So musste ich mich geschlagen geben und landete kurze Zeit später.
Das fängt ja schonmal toll an! Wer mich kennt, kann sich vorstellen, wie ich getobt habe. Als mich dann Steffen mit den Worten „Ich habe aber jetzt nur ein Seil für Sigurd geholt, weil du ja noch oben warst“ begrüßte, war meine Laune vollkommen im Keller.
Wieder am Start kalkulierte ich mir drei Optionen aus: Einpacken, Strecke kürzen oder es einfach trotzdem probieren. Ich entschied mich für Nummer drei und machte es mir schon mal im Cockpit bequem, während mir Steffen ein neues Seil brachte (Sigurd hatte beim zweiten Start mehr Glück und kreiste sich bereits nach oben).

Warten auf Seil Nummer zwei


So startete ich um 11:30 Uhr endlich zur Strecke!
Direkt nach dem Ausklinken, erwischte ich einen 4m/s Bart und war schnell unter dem Luftraumdeckel. Noch einmal durch den Startkreis und dann nichts wie los! Ich hatte einiges an Zeit aufzuholen! Schnell war ich im nächsten Luftraum (5500ft) und kreiste mich am Sägewerk Baruth auf 1300m.  Da ich erst einmal einen Umweg am Berliner Luftraum vorbei fliegen musste, zeigte meine Aufgabengeschwindigkeit noch immer 0km/h an. Danke dafür!
Zwar machte mir der starke Gegenwind ziemlich zu schaffen, aber immerhin bildete sich eine schöne Wolkenstraße nach Westen. So rastete ich unter der Basis ein und schwabbelte eine gute Linie ab. So kam ich innerhalb einer guten halben Stunde ohne einen einzigen Kreis zu machen bis kurz vor Lüsse. Die Dauerrundfunksendung der D(HX) Gebiete teilte mit, dass die westlichen Sektoren nicht aktiv seien. Das machte die Sache natürlich um einiges einfacher.
Nachdem ich endlich den Berliner Luftraum hinter mir lassen konnte, war es mir möglich direkten Kurs zu nehmen. Zwar musste ich jetzt quer zu den Wolkenstraßen fliegen, aber die Wolken zogen zuverlässig mit 2-3m/s und ich konnte noch einiges an Geschwindigkeit gut machen (meine Aufgabengeschwindigkeit konnte ich zu dem Zeitpunkt auf sagenhafte 50km/h verbessern…ich rechnete mir schon aus, ob ich es überhaupt bis zum Sonnenuntergang schaffen könnte).

Überquerung der Elbe
Stendal

Bis kurz vor Stendal ging es richtig gut, aber die aus Westen anrückende Abschirmung fing schon an die Thermik zu beeinflussen. So nahm ich kurz vor der ersten Wende bei Lüchow-Rehbeck etwas Geschwindigkeit raus und wendete um 14:40 Uhr (also 3 Stunden nach meinem Start).
Jetzt ging es nach Süden. Die nächste Wende war das kleine Dörfchen Belleben, welches sich südöstlich von Aschersleben befindet. Aber zuerst muss man da ja natürlich hinkommen.
Die Wolken sahen inzwischen nicht mehr ganz so gut aus und waren eher flatschig als fluffig.
Zuverlässig zogen diese auch nicht mehr. Man kreiste bei 3m/s ein, die andere Hälfte des Kreises befand sich aber im Sinken. Wenn ich dann zum Steigen hinzentriert hatte, war das gesamte Steigen weg. Na toll! So richtig kam ich also nicht mehr hoch und hangelte mich irgendwie nach Süden.
Die Kollegen in Langen gaben mir freundlicherweise Auskunft darüber, dass das EDR74 nicht aktiv sei, was mir die weitere Streckenführung doch ganz schön vereinfachte.
Über Magdeburg (ich befand mich seit einiger Zeit nur noch auf halber Basishöhe) rief ich dann Wilko an, um zu fragen wie lange eigentlich heute die Thermik gehen sollte. Es war schon 16 Uhr und die zweite Wende war noch gute 30km entfernt. 3 Stunden noch…es wäre zu schaffen! Aber erst einmal wieder hoch kommen und nicht absaufen! Ich fand mich auf 900m AGL wieder und an sowas wie „Strecke schaffen“ dachte ich erst mal gar nicht. Viele Optionen hatte ich nicht mehr, da erfahrungsgemäß bei starkem Wind die Thermik noch schlechter zu finden ist, je tiefer man kommt.

Danke für nichts Wolke!


Vor mir lag ein größeres Feld mit Windkraftanlagen, in Windrichtung dahinter eine große Wolke. Ich kalkulierte den Versatzwinkel und flog dazwischen, wo ich die Thermik vermutete. Eine Fläche hob sich, das Vario schlug aus und ich kreiste ein. Ich starrte mit einem Hauch von Verzweiflung mein Vario an und flüsterte das Mantra „Bitte bleib positiv, bitte bleib positiv!“.
Und der Zeiger blieb nicht nur im Steigen, sondern auch jenseits der zwei Meter! Der erste ordentliche Thermikbart seit zwei Stunden! Ich kreiste in 2,5m/s und näherte mich das erste Mal seit langer Zeit wieder der Basis. Fast 2100m AGL. Damit ließe sich doch definitiv etwas anfangen (WhatsApp von Wilko „Krasse Basis!“)! Die Wende war schnell genommen und danach kämpfte ich mich wieder an die Basis. Der letzte Schenkel lag genau in Windrichtung. Zwar hatte der Wind inzwischen ziemlich abgenommen, aber die 10km/h Rückenwind würden mir trotzdem helfen nach Hause zu kommen. Noch 160km sind zu schaffen! Während ich mich der Wolkenuntergrenze näherte rechnete ich meine Chancen nach Hause zu kommen aus. Es war 17 Uhr, bislang hatte ich fast einen 70er Schnitt. Mit Rückenwind rechne ich also mit 80km/h. In zwei Stunden ist Thermikende…es könnte tatsächlich klappen!
Ich versuchte so gut es geht mich an der Basis entlang zu hangeln und überflog bald darauf Dessau (Der nette Flugleiter, den ich anfunkte um zu fragen, ob sie denn noch Fallschirmsprungbetrieb am Platz hätten, wünschte mir viel Glück für das restliche Gelingen) in 2100m über Grund. Jetzt musste ich meine weitere Strecke planen. Ich wollte den äußersten Luftraumring nutzen, um so hoch wie möglich zu bleiben. Das bedeutete aber, dass ich mich nun für die etwas südlichere Wolkenstraße entscheiden musste, was leider auch bedeutete, dass ich nahe an der Elbe blieb. Ich nahm also Anlauf, um ein größeres blaues Loch zu durchfliegen und peilte eine schöne Wolke bei Wittenberg an. Ich flog darauf zu und es passierte…nichts. 1400m AGL. Ich tastete mich an der Wolke entlang, ob ich nicht doch das Steigen finden könnte. Aber die Wolke blieb unnachgiebig. Ich warf ihr alle nur denkbaren Schimpfwörter entgegen und steuerte die nächste dahinter an. Gleiches Spiel, gleicher Effekt, nur dass ich inzwischen auf 1100m gesunken war. Jetzt musste ich eine Entscheidung treffen:
– Entweder nochmal nach Süden (was aber auch bedeutete direkt über der Elbe zu sein), wo die optisch schöneren Wolken standen. Allerdings sahen die letzten beiden angeflogenen Wolken auch sehr schön aus, zeigten mir aber nur den Mittelfinger
– Nach Norden zur Wolkenstraße, allerdings war der Weg dorthin recht weit und die Wolken sahen sehr flach und undefiniert aus. Wenn ich dort ankomme und nichts finde, hätte ich wenig Optionen
– Direkt auf Kurs weiter Richtung Oehna standen zwei Fetzen, die ich erreichen könnte. Mein Endanflugrechner versicherte mir es noch bis zum besagten Flugplatz schaffen zu können.
So entschied ich mich für die Oehna-Fetzen. Es ging aber erst einmal nur abwärts 1000m. Ich flog in Windrichtung den Fetzen an, aber es passierte erst einmal nichts. 900m.
Über Zahna machte ich einen Suchkreis, hier musste doch etwas sein. Das Vario zeigte ganz zartes Steigen an. 850m und ich kreiste ein. 0,8m/s Steigen. Ich traute mich gar nicht zu zentrieren und blieb erst einmal genau so in der Thermik. Erst als ich wieder über 1000m war, wagte ich einen Versuch und konnte so meine Steigrate auf 1,3m/s verbessern. Ich entschloss mich genau so in diesem Aufwind zu bleiben und alles an Höhe mitzunehmen was geht. Inzwischen hatte ich wieder Friedersdorf als Ziel eingestellt und mein Endanflugrechner kletterte in einen Bereich, mit dem ich doch arbeiten konnte. Noch einen Aufwind und ich wäre sicher zu Hause, wenn ich es jetzt bis an die Basis schaffen würde. Leider hörte die Zahna Wolke in 1800m auf und ich flog den nächsten Fetzen an, der sich ein kleines Stückchen weiter gebildet hatte. Dieser brachte mich dann unter die ersehnte Basis in 2100m und ich legte mir einen Plan zurecht:
So weit und so hoch es geht unter dem äußeren Luftraum bleiben und so nah wie möglich an Friedersdorf herankommen und dann taktisch klug in den 5500ft Luftraum eintauchen. Ich wollte kein Risiko mehr eingehen! Es war zwar ein kleiner Umweg, aber so konnte ich die Höhenbeschränkung so gut es geht ausnutzen.

Tropical Islands – fast zu Hause


Ich peilte eine schöne Wolke auf Kurs Tropical Islands an und flog erst mal durch tote Luft. Ich befürchtete schon, zu spät dran zu sein und überlegte, auf direktem Weg nach Hause zu fliegen. Mit 1500m konnte ich locker in den Luftraum eintauchen, aber ich hatte noch gute 50km Weg vor mir und bräuchte nochmal ein paar hundert Meter. Zwar lagen einige Wolken auf Kurs, aber bekannterweise ist diese Passage sehr tückisch. Sie kann gut tragen, dich aber auch gnadenlos mit 4m/s Sinken hinunterspülen. Da die besagte Wolke nicht zog, entschied ich mich kurzerhand noch die Nächste auszuprobieren. Diese war zwar ein paar Kilometer entfernt, aber sah im Gegensatz zu den Wolken auf direktem Kurs noch schön strukturiert aus. In 1380m hob sich sachte eine Fläche und ich tastete mich zum Steigen. 1m/s. Nicht der Brüller aber der Rückenwind unterstützt mich ja. Es geht ja jetzt nur noch darum, Höhe zu machen und nach Hause zu kommen. Innerhalb von 8 Minuten war ich wieder kurz unter der Basis und der Höhenmesser zeigte 1900m an. Jetzt sollte eigentlich nichts mehr schiefgehen! Parallel zur Luftraumgrenze flog ich Richtung Nordosten und verringerte so die Entfernung zum Heimatflugplatz. Als ich tief genug war, um in den nächsten Luftraum einzutauchen, bog ich nach Norden ab. Zwar gab es streckenweise großes Sinken, aber zum Glück bin ich auf Nummer Sicher gegangen und habe mir genug Höhenpuffer eingeplant. So kam ich ganz entspannt zu Hause an!

Ich kann den Flugplatz schon erkennen!
Geschafft!

Nach der Landung konnte ich es gar nicht richtig glauben, es doch geschafft zu haben.
Zuerst eine Platzrunde, dann erst so spät losgekommen und dann auch noch den strammen Gegenwind. Sigurd hat die Aufgabe bei Genthin abgebrochen, und klopfte mir anerkennend auf die Schulter. „Sehr mutig“ meinte er.
Ich hätte keinen Euro darauf gewettet es zu schaffen (Steffen übrigens auch nicht. Er erzählte mir, dass er jeden Augenblick mit dem Anruf rechnete, während er die Landebahn mähte), habe mich aber trotzdem irgendwie durchgekämpft. Ja, ich glaube ich bin auch ein kleines bisschen stolz auf mich!

Super fertig, aber auch super glücklich!
Quelle: Weglide.org

https://www.weglide.org/flight/165587

Ein Gedanke zu „500km am 10.Juni 2022 mit denen niemand gerechnet hätte – am wenigsten ich selbst“

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